hier beginnt mein Blog. Nach langem hin- und her. Endlich. Ich stelle ihn mir und euch als anarchisches Notizbuch vor. Meinem Perfektionismus zuliebe und weil ich glaube, dass der Welt, dem Leben, uns allen ein bisschen Anarchie gut tut in all dem menschlichen Ordnungs- und Leistungs- und Normierungszwang. Außerdem funktioniert ein Blog für mich wenn überhaupt nur in dieser Form. warum?
Ein Teil von mir glaubt ziemlich hartnäckig, ich kann nichts. Schon gar nicht schreiben. Ein anderer Teil weiß inzwischen zum Glück sehr genau, dass das nicht stimmt (auch wenn er nur allzu oft überschrien wird) und wieder ein anderer Teil versucht, sich immer wieder leise in mein inneres Stimmengewirr zu schleichen und Partei für die Lebendigkeit zu ergreifen: völlig egal, ob es stimmt oder nicht, dass du dies oder jenes kannst (und wer wäre dafür eigentlich der Maßstab?), wenn du das Bedürfnis hast oder es dir Freude macht, tu es. Schreibe, male, fotografiere, suhle dich in Buchstaben, Farben und Gedanken.
Um die Saboteur*innen in mir zu überlisten – ich bemühe mich sehr, mit ihnen in friedlicher Coexistenz zu leben – und überhaupt etwas aus mir nach draußen zu bringen, hilft es, ihnen das Gefühl zu geben, dass das, was ich tue vorläufig ist. Nicht fertig. Dass es keiner Logik folgen, ein Thema nicht umfassend und abschließend behandeln muss. Oder es „nur“ fürs Internet ist, keine wissenschaftliche Abhandlung, kein druckreifes Manuskript. Lediglich Gedankenfetzen, Skizzen, Fragmente, Momentaufnahmen. Darum ist meine einzige Chance für einen Blog ein Anarchisches Notizbuch.
Gottfried Benn hat so notiert und Notizbücher über Kladden gefüllt. Analog selbstverständlich. Er nannte seine Schreibmethode prismatischen Infantilismus“ und vergleicht sie mit spielenden Kindern, die mit spiegeln das eingefangene Sonnenlicht aus dem Schatten heraus auf Menschen tanzen lassen.
…ich bin Artist, mich interessieren die Gegenströmungen, ich bin Prismatiker, ich arbeite mit Gläsern. Was zum Beispiel die Methode meines Niederschreibens angeht, sie ist, wie leicht festzustellen, prismatischer Infantilismus. Sie ruft wohl in jedem die Erinnerung an Kinderspiele wach, wir liefen mit kleinen Taschenspiegeln und fingen die Sonne ein, die reflektierten wir dann auf Besitzer, die vor ihren uns gegenüberliegenden Läden standen, das erregte Unwillen und böses Blut, wir aber hielten uns im Schatten.Was wir ins Helle bekamen, war natürlich nur Haut, Stuck, Flecke, Leberflecke des Äußeren, Warzen am Olymp des Scheins, nichts Wesenhaftes…
benn, gottfried: der ptolemäer. berliner novelle 1947, in: benn, gottfried: prosa und szenen. gesammelte werke, bd. 2, wiesbaden 1962.
Spielen, Licht einfangen, Flecke beleuchten, Strukturen, Haut, Oberflächen, Reflexionen. Das klingt entlastend für mich und auch mit Schatten kenne ich mich aus… lediglich das „nur“ stört mich. Als ob das, was äußerlich ist, das einzige, was wir sehen können, nichts mit Wirklichkeit zu tun hätte. Platon ick hör dir trapsen. Vielleicht gibt es nichts Realeres als die Spuren, die das Leben zeichnet: Flecke, Narben, Warzen. Aber davon sicher ein andermal mehr.
Mein anarchisches Notizbuch folgt keiner Logik und keinem inhaltlichen Aufbau, wird aus kurzen Gedankenfetzen, längeren Texten, Fotos und anderem bestehen. Herzlich willkommen in meinem Chaos!