Zum Inhalt springen
fashion victim

fashion victim

    Ich bin ein fashion victim. Dabei dauert es eher länger bis ich weiß, was modetechnisch gerade der letzte Schrei ist. Shoppingtouren führen bei mir auch eher selten durch Klamottenläden. Alle meine Kleidung passt in 80x42x170 cm. So groß ist mein Kleiderschrank. Und es kann schonmal vorkommen, dass ich bange, dass meine letzte Hose nicht auch noch zwischen meinen Oberschenkeln aufreibt und reißt.

    Seit ich denken kann, war irgendwie der Wurm drin in meiner Beziehung zu Kleidung.

    Als Kind war ich gemeinsam mit meinen Geschwistern von Kopf bis Fuß nahezu eingestrickt. Von Oma gestrickte Kniestrümpfe, deren Gummibünde juckend-schmerzende Muster auf meine Schienbeine drückten, kurze Hosen, Röcke, Oberteile aus schrecklich kratzig-lilafarbener Glitzerwolle (für besondere Anlässe oder als Sonntagskleidung), Kleider, Schals, Mützen, Fäustlinge, die mit einer Kordel miteinander verbunden waren und des öfteren Striemen in meinem Nacken hinterließen, wenn ich meine Arme ausstrecken wollte.

    Es ging weniger darum, was ich selbst schön fand oder worin ich mich wohlgefühlt hätte, sondern darum, dass ich warm verpackt und - nach Ansicht meiner Eltern/Großeltern - dem Anlass entsprechend (oft im Partner*innenlook mit Schwestern und Cousinen) gekleidet war. Irgendwann war die Maschenmenge zu hoch, die nötig gewesen wäre, um meinen Körper zu umhüllen. Ich war schon als Grundschulkind größer als andere in meinem Alter. Und die Kämpfe mit meiner Mutter und teilweise auch mit meiner Großmutter um Klamotten verlagerten sich in Kaufhausabteilungen und ihre Umkleidekabinen. Dort brannten sich mir geltende Blicke tief in mich ein - beschämende, demütigende von Verkäufer*innen, meiner Mutter und/oder den übrigen Familienmitgliedern, die plötzlich alle in der Umkleidekabine standen. Meistens gerade in dem Moment, in dem die Hose wieder nicht zu ging oder zu kurz war oder das Oberteil wie ein Sack hing oder viel zu altbacken, rüschig, mädchenhaft, kerlig etc. war.

    Selten trug ich Kleidung, in der ich mich wohl fühlte und die dem jugendlichen Bedürfnis nach Selbstausdruck einerseits und Zugehörigkeit andererseits Rechnung trug. Leider sagte mir niemand, dass es die Modeindustrie war, die Kleidung für unrealistische Körper herstellte und diese kompromisslos in zwei Kategorien zwängte, von denen keine für mich passte. Stattdessen wurde mir suggeriert, dass ich zu groß, zu breit, zu dick, zu unförmig, zu trampelig usw. war für das, was an den Stangen hing und was für mich als vermeintliches Mädchen in Frage zu kommen schien. Es schien mein persönliches Versagen zu sein, dass ich nicht passte. Ich hasste diese tränenreichen Shoppingsamstage mit der ganzen Familie, in denen regelmäßig mein Körpergefühl, meine Möglichkeiten der Selbstakzeptanz, den gesellschaftlichen Körper- und Geschlechternormen sowie einem heteronormativen und cisnormativen Fashionbetrieb zum Opfer fielen. Bis heute ist Klamottenkaufen für mich eine der nervigsten und frustrierendsten Angelegenheiten. Und je nach Tagesform kullern auch heute manchmal noch Tränen.

    Ich bin ein fashion victim und kann darum bis heute nicht wirklich ein fashion victim sein, das Freude und Spaß an Mode hätte.

    Aber inzwischen gibt es doch ein paar Kleidungsstücke in meinem Schrank, die ich mag.

    Und manchmal ziehe ich Klamotten an wie eine Rüstung, die mich schützt vor mich unsichtbar machenden (falschen) Geschlechtszuschreibungen.

    Und manchmal ziehe ich mit Statement-T-Shirts in den Kampf. "God is trans" steht da dann drauf oder "Free Spirit" oder "Blessed are the queer".

    Und manchmal spüre ich sogar, dass G*tt mich - so wie ich war und bin und werde - in their Liebe kleidet.


    Dieser Text war mein Beitrag zur Themenwoche "faith fashion week" des Feministischen Andachtskollektiv [fAk] Ende Februar 2021.

    Teile deine Gedanken

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

    Schriftgrösse: 16px
    Hoher Kontrast: ausein
    Einfache Darstellung: ausein