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Was unser Mut uns kostet

Was unser Mut uns kostet

    Schon vor meiner Teilnahme bei #OutInChurch haben mir Menschen regelmäßig in Nachrichten auf Social Media, in oder noch öfter nach Workshops, Impulsen, Gesprächen und anderen Arbeitskontexten gesagt, wie mutig ich doch bin, dass ich immer und immer wieder in einem mich diskriminierenden System wie der Kirche auf Diskriminierungsrealitäten hinweise, die mich manchmal selbst treffen, manchmal aber auch nicht. Offensichtlich ist es mutig, darauf zu achten, dass Menschen z. B. nicht durch Sprache verletzt werden, nicht unsichtbar gemacht werden, anwesend sein und teilhaben können, so wie sie sind, vorkommen, mitgedacht werden, repräsentiert sind.

    Seit #OutInChurch sind solche Rückmeldung zu meinem Mut oft mit Dankbarkeit verbunden. Auch Vertreter*innen von Parteien, gesellschaftlichen Akteur*innen, kirchliche Verbände und Gremien haben uns, die wir Teil von #OutInChurch sind, öffentlich oder in privaten Nachrichten für unseren Mut gedankt. Wir haben diesen Mut für uns aufgebracht, weil wir endlich sichtbar machen wollten, dass wir Teil der Kirche sind, dass es uns gibt und weil wir keine Angst mehr haben wollen in dieser Kirche. Aber wir sind auch mutig für die Kirche, weil wir glauben, dass diese Kirche anders werden, umdenken, umkehren muss, wenn sie G*ttes Liebe für alle Menschen spürbar machen will, was ihre Aufgabe ist. Und ja, es tut gut, wenn uns Menschen für unseren Mut danken. Ebenso macht es ein bisschen stolz und berührt. Doch in der Regel komme ich mir dabei gar nicht mutig vor und merke erst am Angstschweiß, der am Abend penetrant in meinen T-Shirts klebt, in wie vielen diskriminierenden, riskanten und mein limbisches System alarmierenden Situationen ich den Tag über wieder mal gesteckt haben muss. Und weil dieser Umstand anscheinend so unsichtbar ist, dass ich ihn mir nicht einmal selbst wahrzunehmen erlaube, sage ich es hier einmal deutlich:

    Das, was ihr Mut nennt, ist anstrengend.

    Das, was ihr mutig nennt, zerrt an meinen Nerven und zehrt an meinen Kräften. Jeden Tag. Ich frage mich oft, warum ich eigentlich so erschöpft bin, warum mir Kiefer, Kopf und Nacken schmerzen. Manchmal fällt mir dann ein, wie häufig am Tag ich die Zähne zusammengebissen habe, wenn ich z. B. wieder mal falsch angesprochen wurde und mich in Bruchteilen von Sekunden entscheiden musste, ob ich es dieses Mal hinnehme oder mich traue, für mich einzustehen und mein Gegenüber zu unterbrechen und zu korrigieren. Dabei muss ich versuchen abzuchecken, wie hoch mein Energielevel ist, wie wichtig es mir gerade ist, als die Person im Raum sein und sichtbar sein zu können, die ich bin, sowie welche Konsequenzen es haben könnte, darauf aufmerksam zu machen – für meinen Status in der anwesenden Gruppe, in der gesamten Institution, im Verhältnis zu vorgesetzten oder in der Hierarchie über mir stehenden Personen, konsequenzen für die Wahrnehmung meiner fachlichen Kompetenz, für die weitere Zusammenarbeit mit Kolleg*innen und/oder Kooperationspartner*innen und den Erfolg einer Sache, die mir möglicherweise auch noch am Herzen liegt.

    Manchmal fällt mir auch ein, wie oft am Tag ich meine Wut, meinen Ärger oder meine Traurigkeit darüber ignorieren oder hinunterschlucken musste, dass Menschen wie ich in den meisten Köpfen nicht einmal eine Denkoption sind und darum die Welt, die Gesellschaft, die Sprache, herrschende Normen, eingeübte Interaktionschemata und Institutionen so gebaut sind, dass wir nicht oder nur als die strangen anderen, als scheinbar extraterrestrische Lebensformen existieren.

    Was in kirchlichen Kontexten hinzukommt, ist die Tatsache, dass dort permanent die Frage virulent ist, ob die Existenz von Menschen wie uns Resultat einer „gefallenen Welt“ ist und wir, wenn wir zu uns stehen und leben und lieben, wie wir uns vorfinden, wider unsere Natur leben bzw. unser g*ttgewolltes Menschsein verfehlen. Der unbeschädigte Teil meiner selbst lehnt derartige Narrative ab. Aber da gibt es noch die unterschiedlich alten, in mich eingewüteten und eingeschriebenen Teile, die sich da des Öfteren nicht so sicher sind. Und leider passiert es häufiger als gedacht, dass Sätze und Formulierungen fallen, die diese Teile und mit ihnen Schmerz, Ohnmachtserfahrungen und Angst reaktivieren. Gilt G*ttes „Siehe, es war sehr gut!“ wirklich auch mir? Bin auch ich Ebenbild G*ttes? Gerade richtig und geliebt, wie ich bin? Bin auch ich wirklich gerufen, frei zu sein? Gilt die Verheißung auch mir, dass es Lebensmöglichkeiten in Fülle und Gerechtigkeit für alle gibt? Oder haben die recht, die uns queere Menschen krank und/oder von G*tt verdammt nennen und uns mit atomaren Waffen, dem Rauch Satans und anderem vergleichen?

    Das spirituell-theologische Gift wirkt nachhaltig und gründlich. Und es wird weiter verabreicht durch Predigten, Youtube-Videos, Insta-Stories, Facebook-Kommentare, vatikanische Verlautbarungen, bischöfliches Schweigen oder Ohnmachtsgebaren, simuliertes Zuhören und Pseudodialoge, Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam, faule Kompromisse und vorschneller Versöhnungsbereitschaft sowie falsche Rücksichtnahme auf würdenträgerliche Befindlichkeiten.

    Das Gift wirkt. Und wie es wirkt! Und wir setzen uns aus. Nicht nur für uns. Auch für alle anderen, die Angst haben in dieser Kirche. Wir nennen Dinge beim Namen, die dafür verantwortlich sind. Wir nehmen uns heraus, nicht mehr zu schweigen über das, was wir erleben, erleiden und erfahren haben in dieser Kirche. Ihr nennt das mutig. Und ihr habt recht. Es ist mutig. Doch was meistens unsichtbar bleibt: Unser Mut kostet viel.

    Viele von uns haben Selbstzweifel, Depressionen, leiden unter Retraumatisierungen, Erschöpfung, körperlichen Beschwerden. Wir beschuldigen uns selbst, nicht ausreichend resilient, nicht hart genug im Nehmen zu sein, damit es uns nichts ausmacht, weiter exotisiert, diskriminiert, nicht ernst genommen, gnädigerweise mit Einzelfalllösungen abgespeist, herablassend behandelt und vertröstet zu werden bis zum St. Nimmerleinstag. Wir ziehen uns zurück und bleiben allein mit unseren Fragen, ob wir richtig sind, ob wir genügen, ob die Kraft ausreicht, um weiter Teil dieser Kirche bleiben und für sie arbeiten zu können, oder uns erlauben zu dürfen, unser Wohlergehen und unsere Lebendigkeit über unsere Loyalität zu einem gewaltvollen System zu stellen, das umkehrresistent, wandlungsresistent zu sein scheint, obwohl es so oft Wandlung feiert.


    Unser Mut hat einen hohen Preis.

    Ein Gedanke zu „Was unser Mut uns kostet“

    1. Vielen lieben Dank für diesen harten und ehrlichen einblick. mir hat er die Augen geöffnet. Einerseits ist mir klar, dass euer Mut sehr anstrengend und kräfteraubend ist und snderseits kann ich es mir nicht vorstellen, da ich nicht in der Situation Tag täglich lebe. Ich bin in Gedanken bei euch. Unterstütze euch in meiner welt, wie es mir möglich ist und sende euch Kraft.
      Danke für euch, ihr habt meine augen geöffnet und dadurch mein leben definitiv bereichert.

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