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Christentum detoxen

Christentum detoxen

    -  Warum Fasten für mich bedeutet, meinen christlichen Glauben zu entgiften

    In meiner Kindheit und Jugend war die Zeit von Aschermittwoch bis Ostern für mich eine Hoch-Zeit von schlechtem Gewissen, Höllenängsten und anderen unangenehmen Gedanken und Gefühlen.

    Ich musste fasten, mein Fastenopfer bringen. Das war kein freiwilliger Verzicht, nein, es war Pflicht. Meine Eltern verpflichteten uns. Aber eigentlich wollte G*tt das so und Jesus hatte schließlich auch gelitten. Für mich. Und G*tt sah alles, auch wenn ich heimlich von meinen Eltern unbemerkt etwas aus dem großen Glas gefüllt mit den Süßigkeiten nahm, die wir an den fastnachtlichen Tagen kurz zuvor bei den Umzügen vom Boden aufgeklaubt hatten und nicht mehr vertilgen konnten, bevor am Aschermittwoch alles vorbei war. Wenn es allerdings rauskam, drohte elterlicher Ärger.

    Die schlimmsten Tage waren Aschermittwoch und Karfreitag. Die katholische Fastenordnung kennt sie als die einzigen beiden Fast- UND Abstinenztage. Eigentlich ist der Fleischverzicht (Abstinenz) erst für alle ab 14 Jahren geboten, während das Fasten (eine sättigende Mahlzeit am Tag) für alle zwischen 18 und 60 Jahren verpflichtend ist. Bei uns zuhause galt dies alles schon für Kinder und zusätzlich zum Süßigkeitenverbot.

    Meine Oma bemühte sich am Karfreitag, nichts zu essen und auch nur wenig zu trinken. Fragen nach dem Sinn und Zweck dieser Übungen begegnete sie mit dem Hinweis, dass Jesus in der Passionsgeschichte Essig zu trinken bekam, ich also froh sein könne, dass ich Wasser hätte. In ihrer Kindheit hätte es an diesem Tag tatsächlich Essig zu trinken gegeben. Ob das tatsächlich so war, lässt sich nicht mehr herausfinden.

    Den Druck, nicht richtig oder nicht genug (Fasten)Opfer zu bringen und damit G*tt nicht zufrieden zu stellen bzw. für das Leiden von Jesus verantwortlich zu sein und dafür womöglich in der Hölle zu landen, spüre ich noch heute deutlich auf meiner irgendwo noch in mir vorhandenen Kinderseele lasten. Irgendwo in mir fühlt es sich auch immer noch verboten an, wenn ich an Aschermittwoch oder Karfreitag ganz normal esse.

    Nun ist es nicht so, dass ich erst seit ich erwachsen bin, mit einem kritischen Geist gesegnet bin. Ein Teil in mir verstand nicht, was der damals am Kreuz (meinetwegen für mich - auch das erschloss sich mir allerdings nicht) leidende Jesus davon haben sollte oder warum es G*tt gefallen sollte, wenn ich keine Schokolade esse. Was soll das auch für ein G*tt sein, der*die will, dass Kinder (und auch Erwachsene) sich etwas verwehren, einfach nur so und sich mit schlechtem Gewissen plagen? Wem soll das nützen? Was genau besser machen? Doch diese zweifelnden Gedanken zahlten in dem katholischen Narrativ, in das ich eingesponnen war und das immer wieder in G*ttesdiensten und subtil in meiner religiösen Erziehung in mir aktualisiert wurde, ihrerseits auf mein Sündenkonto ein. Und die in mich eingeschriebenen Ängste, der Liebe (G*ttes) nicht wert zu sein, sondern sie mir erst verdienen zu müssen, quälten mich lange. Noch heute kann ich Reste davon in mir finden. Und den Gedanken, dass es G*tt nicht darum geht, dass wir uns gut fühlen, lebendig sind und Freude haben.

    Eine Zeit lang habe ich das tatsächlich auch irgendwie geglaubt und so kam es, dass ich mir in meiner Jugend dann selbst unterschiedliche Fastenopfer auferlegt habe. Dabei ging es immer irgendwie darum, G*tt/Jesus zuliebe auf etwas zu verzichten, was lustvoll ist oder mir Spaß machte. Oft hatte es mit Essen zu tun, was in dem ein oder anderen Jahr auch ungesunde Formen annahm (Stichwort Körpernormen und diet culture). Aber auch Fernsehen oder Masturbieren standen auf der Fastenliste.

    Heute denke ich darüber: "WTF?!" Was für toxische G*ttesvorstellungen! Was für toxische Vorstellungen vom Leben! Wie vergiftet ein solches Christentum ist!

    Wenn ich heute in der Bibel lese, lese ich davon, dass es um Lebensmöglichkeiten für alle, dass es um Gerechtigkeit geht, dass wir keine Angst haben müssen, nicht genug zu sein und zu kurz zu kommen, dass Gewalt, Diskriminierung und Unrecht nicht das sind, was G*tt gefällt.

    "μετανοεῖτε" wird Jesus am Anfang des Markusevangeliums in den Mund gelegt. Übersetzt wird das meistens mit "Kehrt um!". Wörtlicher heißt es "Denkt um! Ändert euer Denken!" und weiter im Schrifttext "und vertraut der Frohen Botschaft!" Nämlich, dass es Leben in Fülle und Gerechtigkeit für alle geben soll! Also raus mit allem in euren Einstellungen, in eurem Denken, in euren Theologien, in eurem Glauben, in euren Ordnungen und Normen, was abhält vom Lebendigsein, was Leben verunmöglicht.

    Die Frage in der Fastenzeit heißt für mich darum heute: "Macht das lebendig oder kann das weg?" Und dabei geht es nicht nur um mich. Nicht nur darum, ob ich mich gut sein lassen kann, ob ich all die "Ich bin nicht genug"s und "Ich bin der Liebe nicht wert"s weglassen kann. Aber darum geht es auch. Denn es geht um eine Transformation, ein Umdenken, einen Sinneswandel. Damit G*ttes Reich immer mehr Wirklichkeit werden kann. Ein inklusiver Raum, in dem alle Menschen frei sind, keine*r mehr über den*die andere urteilt und herrscht. Ein Raum, in dem Leben in Fülle und Gerechtigkeit für alle ist. Und da fange ich am besten bei mir an. Dabei, wie ich über mich denke. Aber ich versuche auch auf dem Weg Richtung Ostern meinen christlichen Glauben diskriminierungskritisch zu entgiften, Rassismen, Antisemitismen, Ableismen, Sexismen und anderes Gift aufzuspüren und mich einzuüben, darauf zu verzichten. Und ich glaube fest, dass das ein Fasten ist, wie es G*tt gefällt.

    "Ist nicht dies ein Fasten, wie es mir gefällt:  Unrechtsfesseln öffnen, Jochstricke lösen, Misshandelte als Freie entlassen, jedes Joch zerbrecht ihr! Geht es nicht darum? Mit Hungrigen dein Brot teilen, umherirrende Arme führst du ins Haus! Wenn du Leute nackt siehst, bekleidest du sie, vor deinen Angehörigen versteckst du dich nicht. Dann wird dein Licht wie die Morgenröte hervorbrechen, eilends wächst deine Wunde zu. Dann wird deine Gerechtigkeit vor dir hergehen, der Glanz Gottes sammelt dich auf. Dann wirst du rufen, und Gott wird dir antworten. Du schreist um Hilfe, und Gott wird sagen: »Hier bin ich!« Wenn du aus deiner Mitte das Joch wegräumst, das Fingerzeigen und die üble Nachrede, und wenn du dich ganz den Hungrigen hingibst und die Niedergedrückten sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufstrahlen, deine Dunkelheit wird wie der Mittag sein. Dann wird dich Gott beständig leiten, den unbändigen Durst deiner Lebenskraft stillen und deine müden Knochen wieder munter machen. Dann wirst du wie ein bewässerter Garten sein und wie eine Wasserquelle, deren Wasser nicht täuschen. Dann werden deine Leute die Trümmer der Vorzeit aufbauen und die Grundmauern von Generationen wieder aufrichten. Du wirst heißen: ›Lückenschließerin‹ und ›die die Pfade wiederherstellt zum Bleiben‹."

    Jes 58, 6-12 (Bibel in gerechter Sprache)

    Dieser Text ist im Rahmen der Themenwoche Fasten des feministischen Andachtskollek-tivs [fAk] im März 2022 entstanden.

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