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lasst euch die kirche nicht nehmen

lasst euch die kirche nicht nehmen

    Nach der Antwort (responsum) der Glaubenskongregation auf die Frage (dubium), ob die Kirche die Vollmacht habe, „Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts“ segnen zu können, wurde ich zu mehreren Online-veranstaltungen mit dem Titel #loveisnosin eingeladen. Ich habe einen persönlichen Text geschrieben, der meine Gedanken und Gefühle angesichts dieses Schreibens aus Rom widerspiegelt. Da ich viele berührende Rückmeldungen dazu bekommen habe und ich glaube, das wir uns und unsere Erfahrungen viel mehr zum Ausgangspunkt des sprechens von und über den Glauben machen müssen, teile ich ihn hier für alle zum nachlesen:

    Schlag in die Magengegend.
    Wieder einmal. Wie schon so oft und immer wieder.
    Ich merke, wie ich sie immer schwerer ertragen kann.
    Der wievielte war das jetzt von kirchlicher Seite schon in meinem Leben?

    Wie lange soll/kann ich das noch ertragen?
    Müsste das jetzt nicht wirklich der berühmte letzte Tropfen für mich sein, der das Fass zum Überlaufen bringt schon aus Selfcare-Gründen?
    Bin ich mir das nicht auch schuldig, dass ich das endlich hinter mir lasse, was Menschen – und in diesem Fall auch mich – permanent ausschließt, diskriminiert, verletzt? Und dann arbeite ich auch noch für diese Institution und stütze sie damit ja auch.

    Das waren meine Gedanken als ich von dieser Antwort der Glaubenskongregation auf die Frage, ob die Kirche die Vollmacht habe, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts zu segnen, gehört habe. Ich habe den Schlag wirklich körperlich gespürt. War wie benebelt. Wütend, fassungslos, ratlos und traurig gleichzeitig. Und seitdem schwanke ich innerlich zwischen Resignation, Zynismus, Ironie, Kampfgeist und Hoffnung.
    Vielleicht ging und geht es euch ähnlich.

    Zusätzlich schlimm, frustrierend an solchen Worten aus Rom, die ohne schlagende Argumente auskommen und gerade damit so viele Wunden schlagen:
    Ich kenne diese Institution, ihre Denke und die Angst, mit der sie sich immer wieder selbst lähmt. Was einmal in die Welt posaunt wurde, braucht unendlich viel Energie, um es wieder zu überwinden.
    Denn solche Verlautbarungen werden ja nicht als Meinungsbeiträge platziert, über die sich diskutieren lässt, als Orientierungsangebote vorgestellt oder als momentaner Stand der Dinge verstanden. Absagen, „es geht nicht“, „nein“, „keine Vollmacht“, werden in dieser Institution entweder gleich explizit, aber viel öfter implizit als endgültig deklariert, weil es ja vermeintlich um DIE Wahrheit geht.

    Die Wahrheit scheint irgendwann vom Himmel gefallen zu sein und steht seitdem als ewige Säulenheilige auf einem Sockel aus Granitfelsen, an dem mensch sich die Zähne ausbeißen kann.

    Und diese Wahrheit, diese Wahrheit scheint irgendwann vom Himmel gefallen zu sein und steht seitdem als ewige Säulenheilige auf einem Sockel aus Granitfelsen, an dem mensch sich die Zähne ausbeißen kann.
    Vielleicht gibt es deshalb so viele zahnlose Papiertiger, pastorale Wege, Zukunftsprozesse und Worte in dieser Kirche.

    Doch bei genauerer ehrlicher Betrachtung sind Entscheidungen, bei denen so vehement auf diese „Wahrheit“ verwiesen wird, meistens erst in den letzten 150 Jahren getroffen worden. Aber eigentlich wurden sie im institutionellen Selbstverständnis gar nicht getroffen, entschieden. Denn das ist – behauptet die Institution – gar nicht ihre Aufgabe und bei manchen Themen auch, dass sie dafür gar keine Vollmacht habe. Wie jetzt auch.

    Nach dem Motto: Wir entscheiden nicht. Wir stellen nur fest.
    Wir erkennen. DIE Wahrheit eben. Den göttlichen Plan.
    Die Schöpfungsordnung.
    Das, was unveränderlich gilt, von Anfang an.
    Was Kirche nicht kann: entscheiden.
    Was Kirche kann: Erkennen, was DIE Wahrheit ist.

    Ähm ja. Eine realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten bzw. Erkenntnismöglichkeiten sieht anders aus.

    Die angebliche Wahrheit diesmal: Nicht segensfähig. Beziehungen, die die Säulenheilige von ihrem Petrusgranit aus nicht gutheißt. Einschließlich auch aller Menschen, die sich nicht von ihr abbringen lassen, trotzdem zu lieben – mit Leib und Seele, also auch sexuell.
    Und das sind ganz schön viele Beziehungen und Menschen, die nicht als segnungsfähige Materie gelten.
    Heterosexuelle, homosexuelle, asexuelle, bisexuelle, pansexuelle, polysexuelle, überhaupt Menschen, die Sex miteinander haben, ohne kirchenrechtlich gültig verheiratet zu sein – egal ob verlobt, verheiratet (aber eben nicht kirchlich), geschieden, verwitwet oder unverheiratet.

    Bämm. Alle nicht segensfähig – meint die Glaubenskongregation. Die Kirche kann nicht, hat keine Vollmacht, zu segnen, wird behauptet. Alles Mögliche schon, aber nicht Menschen, die sich lieben. Nicht deren Beziehungen. Genau. Ist klar. Ok. [Nicht!]

    Ich habe dazu mal ein paar Fragen:

    Wenn Kirche das nicht kann, 
    wenn Kirche Menschen nicht G*ttes Segen zusprechen kann,
    was kann sie dann überhaupt (noch)?
    Wenn Kirche das Vertrauen fehlt, dass G*tt Menschen, die lieben, gutheißt
    – was das lateinische Wort für segnen (bene-dicere) bedeutet –
    wenn Kirche nicht glauben kann, dass G*tt die Liebe zwischen Menschen segnet,
    was kann ihr dann eigentlich noch geglaubt werden?
    Wie sollen Menschen ihr denn überhaupt noch abnehmen,
    dass irgendeiner ihrer Segen G*ttes Segen hat?
    Und schließlich: Wozu gibt sie es dann überhaupt noch?

    Frage: Mein G*tt kann Liebe segnen, Kirche, was kannst du?

    Kirche hat doch genau diese Funktion: G*ttes Liebe für alle Menschen spürbar/erfahrbar zu machen, allen von G*tt her Gutes zu sagen und Menschen, das zuzusagen, was von G*tt her eh schon immer gilt.

    Nämlich: G*tt heißt dich gut, so wie du bist. Du bist gesegnet!
    Und: G*tt heißt alles gut, was lebendig macht, was heilsam ist, was dem Leben dient –
    also auch Liebe und Beziehungen zwischen erwachsenen Menschen mit konsensuellem Sex.

    Ich zumindest glaube das, vertraue darauf und: Ich spüre das. Denn: Meine Liebe ist ein Segen. Ich fühle mich von G*tt gesegnet durch die Liebe meiner Beziehungsperson, weil da für mich ganz besonders – auch körperlich – spürbar wird, dass ich gutgeheißen bin, dass ich geliebt bin, dass es gut ist, dass es mich gibt.

    Und zum Glück geht es mir nicht alleine so.
    Zum Glück gibt es ganz schön viele Menschen in dieser Kirche, die genau das glauben,
    nämlich dass G*tt
    auch homosexuelle Beziehungen,
    auch Beziehungen zwischen queeren Menschen,
    auch Beziehungen zwischen Menschen,
    die schonmal verheiratet waren,
    auch Beziehungen von Menschen, die nicht kirchlich verheiratet sind/sein können,
    segnet.

    Und zum Glück gibt es in dieser Kirche viele Menschen, die, weil sie das alles auch glauben, diesen Segen G*ttes auch weitergeben, also segnen können.
    Und das lässt mich dann doch noch bleiben.

    Wenn die Glaubenskongregation meint, die Kirche kann nicht segnen, weil ihr – der Glaubenskongregation – der Glaube fehlt, dass G*tt Menschen segnen kann, die lieben, einschließlich dieser Liebe, dann kennt die Glaubenskongregation offensichtlich die Kirche nicht.

    Wenn die Glaubenskongregation meint, die Kirche kann nicht segnen, weil ihr – der Glaubenskongregation – der Glaube fehlt, dass G*tt Menschen segnen kann, die lieben, einschließlich dieser Liebe, dann kennt die Glaubenskongregation offensichtlich die Kirche nicht.

    Ich habe noch nie so viele römisch-katholische Menschen – geweihte wie nicht geweihte – wie jetzt gerade erlebt, die offen und öffentlich gesagt und gezeigt haben, dass sie auf eine*n G*tt vertrauen, der*die die Liebe zwischen Menschen gutheißt: segnet.

    Wie in über 100 G*ttesdiensten in Deutschland rund um den 10. mai 2021 bei der Aktion #liebegewinnt ja auch zu erleben war. Dies war für queere Menschen überall auf der Welt ein so heilsames und not-wendiges Zeichen.

    Im letzten Jahr war ich noch zu Tränen gerührt, als ich zur Zeit der Christopher-Street-Days endlich einmal an einer römisch-katholischen Kirche eine einzige Regenbogenfahne hängen gesehen habe. Ich habe damals ein Bild auf Instagram gepostet davon mit den Worten: „Was meiner Seele sowas von gut tut: Wenn katholische Gemeinden Farbe bekennen.“ Und jetzt überall die ganzen Regenbögen, Segensfeiern und Solidaritätsbekundungen…

    Manchmal bin ich fast dazu geneigt, der Glaubenskongregation zu danken, dass sie mit ihren Worten dieses Regenbogenfahnenmeer und diesen Widerspruch hervorgerufen hat! Die Ruach, die Geistkraft weht offensichtlich, wo und wie sie will.

    Ein paar Tagen nach der Veröffentlichung des Neins aus Rom habe ich eine Sprachnachricht bekommen von einem jungen Erwachsenen, lange Jahre kirchlich sehr engagiert und schwul.
    Mit brüchiger Stimme hat er mir erzählt, was es ihm bedeutet, jetzt die ganzen Zeichen von Solidarität zu sehen. Nach Jahren innerer Kämpfe um Selbstannahme, die ihm vor allem auch von Kirche so schwergemacht wurde und dem Entschluss, um seiner inneren Lebendigkeit willen, die Kirche zu verlassen.
    Er verstehe diese ganzen Zeichen nun als Gesprächsangebot von dieser Kirche.

    Dass in einigen Menschen eine Tür wieder einen winzigen Spalt weit aufging, dass innere Verletzungen ein klein wenig ansatzweise zu heilen begonnen haben bei manchen, dass Menschen das Gefühl bekommen haben, für uns gibt es irgendwie doch ein bisschen Platz in dieser Kirche, lässt sich nicht abstreiten.

    Und die Glaubenskongregation meint, die Kirche kann nicht?
    Ich sage: Und wie WIR können!

    Ihr seid, wir sind Kirche und wenn wir glauben, dass G*tt die Liebe von Menschen segnet, dann können wir diesen Segen auch Menschen zusagen und sie segnen.

    Wir. Wir als Kirche.

    wenn wir glauben, dass G*tt die Liebe von Menschen segnet, dann können wir diesen Segen auch Menschen zusagen und sie segnen!

    Und ihr glaubt gar nicht, wie gut es queeren Menschen tut, die Zeit ihres Lebens immer wieder von Kirche hören mussten und müssen, dass es dem Plan G*ttes widerspricht, dass es nicht g*ttgewollt ist, wie sie sind und wie sie lieben, wenn gerade Menschen, die Teil dieser verletzenden Kirche sind, ihnen genau das Gegenteil zeigen und ihnen Segen zusprechen und das nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern so, dass alle es sehen!

    Also zieht euch bitte nicht zurück, sondern segnet!
    Ihr seid gesegnet und ihr könnt ein Segen sein!
    Segnet mit Regenbogenfahnen an Kirchen und in Social Media,
    mit Kreideflashmobs auf Kirchplätzen und Fußgängerzonen,
    mit Plakaten und Transparenten, auch auf CSDs!
    Und vor allem: Hört nicht auf damit!
    Bildet Banden!
    Tut euch zusammen!
    Vernetzt euch, so wie heute Abend und überlegt, wie ihr gemeinsam Segen sein könnt!
    Segnet eure queeren Freund*innen!
    Sprecht ihnen G*ttes Segen zu!
    Segnet euch überhaupt öfter gegenseitig!
    Probiert es aus, es ist ein sehr schönes Gefühl, anderen Menschen G*ttes Segen zuzusprechen!
    Segnet mit Solidarität, indem ihr Einspruch erhebt gegen Homo-, Bi-, Inter-, Queer- und Transfeindlichkeit, vor allem in der Kirche!
    Segnet mit eurer Hoffnung!
    Segnet mit eurem Mut!
    Segnet mit Kreativität!
    Segnet mit Perspektivwechseln!
    Segnet damit, dass ihr euch die Kirche nicht nehmen lasst, sondern euch aneignet!
    – Ihr seid (auch) Kirche! –
    Segnet mit Widerspruchsgeist!
    Segnet mit eurer Trotzkraft!
    Segnet!

    Es ist mehr als genug Segen da!
    Denn: Wir teilen ja nur aus –
    von G*ttes Liebe und Lebensmöglichkeiten für alle!
    Ich glaube fest daran, dass wir dafür G*ttes Segen haben!

    Es ist mehr als genug Segen da! Denn wir teilen ja nur aus - von G*ttes Liebe und Lebensmöglichkeiten für alle! Ich glaube fest daran, dass wir dafür G*ttes Segen haben!

    Und wenn ihr selbst queer seid – und alle anderen auch:
    Lasst euch gesagt sein:
    G*tt segnet euch und eure Liebe und euren Einsatz gegen Diskriminierung, für Gerechtigkeit!

    März/Mai 2021

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